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Interview
mit Kristin Kunze
am 30.04. 2021 zum Weltlachtag

Der Weltlachtag fällt in diesem Jahr auf den 2. Mai – und bietet Anlass für einen Besuch im Institut für Humorforschung bei Kristin Kunze. Vor dreißig Jahren hat die Zahnärztin Dr. Kristin Kunze ihre Praxis in Engelskirchen verkauft und fühlt seitdem als Clownin Sophia Altklug ihren Mitmenschen sehr viel tiefgründiger auf den Zahn. In dieser Rolle kommt sie den Menschen noch näher, spürt sensible Punkte, manchmal auch Defekte auf und weist Wege der Besserung und Vorsorge. So ist sie ihrer eigentlichen Profession, dem Dienst am Menschen, immer treu geblieben.

 

Erste Schritte – über welches Projekt sprechen wir heute?

In diesem Corona-Jahr braucht der Mensch am Weltlachtag besondere Zuwendung – stellt doch auch das Lachen in der Öffentlichkeit und in Gruppen ein Ansteckungsrisiko dar und gehört geradezu verboten! Aber gibt es so auch ein Berufsverbot für den Humor? Nein! Lautes Lachen passiert zwar meist in Gemeinschaft – und wer nicht mitlachen kann, fühlt sich ausgeschlossen. Wer viel mit sich alleine ist, kichert oder schmunzelt eher. Aber den Humor im eigentlichen Sinne kann man in jeder Situation erleben. Humor bedeutet das Fließen der Temperamente, der Stimmung in jeder Tonlage, zu der der Mensch fähig ist. Diese Lebensenergie lässt uns bei Gelegenheit auch lachen, aber das Lachen ist nur eine von vielen Ausdrucksmöglichkeiten.

Mein aktuelles Projekt gestalte ich als Praktikum: Ich spüre dem Flow nach, in den ich gerate, wenn ich praktisch tätig bin. Im Garten, im Schweinestall oder beim Malen und Singen vergesse ich die Zeit, vergesse ich mich selbst – und finde gerade dadurch zu mir selbst. Ich lerne, dass nicht mein Wollen zum Ziel führt, sondern das Warten auf das, was kommt. Ich erlebe, dass ich vertrauen kann auf die Zeit, die nach vorne keine Begrenzung hat.

Ich formuliere gerade nicht ein ganz großes Projekt, sondern entdecke, dass ich mit viel Gewinn die Zeit so annehmen kann, wie sie auf mich zukommt. JETZT ist meine Lebenszeit! Ich warte nicht, bis alles wieder „normal“ ist. Jetzt gerade findet mein eigentliches Leben statt – auch wenn es nicht mehr das ist, von dem ich gelebt habe!

Corona hat viel unterbrochen. Meine Reisen in Entwicklungsländer und meine Tätigkeit dort als Zahnärztin sind nicht möglich. Ich vermisse meinen Sport, das Turmspringen! Diese einundeinhalb Sekunden Glück vor dem Eintauchen ins tiefe Wasser, das Erleben eines gelungenen Sprungs sind der Luxus, den man nur in geöffneten Schwimmbädern erleben kann. Aber dafür steht die Clownin vor Herausforderungen, die sie kennt und immer neu suchen muss: Sie muss über immer neue Hindernisse hinwegstolpern, wieder aufstehen, wieder ihre Balance finden, wieder das Gleichgewicht verlieren – jetzt wird’s ernst mit dem Humor!

 

Eigentlich ist die Antwort schon da, bevor ich die Frage stellen muss: Der Weg ist das Ziel!?

Ja! Aber der Aufbruch gehört unbedingt dazu! Ich muss mich auf den Weg machen, brauche Betätigung, Kreativität. Und dieser Weg ist auch keinesfalls ziellos: von meinem Bedürfnis werde ich in eine Richtung gezogen, einem Ziel entgegen, das ich noch nicht kenne. Wenn ich einen Zaun für das Gehege meiner Schweine brauche, muss ich nach Möglichkeiten suchen, ihn auch zu bauen – am besten so, dass er ausbruchsicher ist!

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Was war das größte persönliche Vergnügen auf dem Weg?

Jeden Tag geschieht etwas Neues! Ein Schritt ergibt den nächsten und durch das Fortschreiten findet immer wieder ein Perspektivwechsel statt. Immer wieder erlebe ich: Ich weiß noch längst nicht alles – noch so viel Weg liegt vor mir! Die Clownin in mir probiert immer wieder aus, was eigentlich unmöglich scheint – und der Lohn ist dieser eine Moment, in dem ganz leicht gelingt, was vorher unüberwindbar schien. – Zum Beispiel habe ich gemeinsam mit einer Freundin eine gewaltige Schweinehütte aus Beton über eine beachtliche Strecke bewegt, weil uns eingefallen ist, sie über Zaunpfähle rollen zu lassen. Ein magisches Bild: zwei schmale Frauen und ein schwebender Betonklotz!

Eine Clownin probiert nicht nur für sich selbst, sondern auch, weil sie andere an der Überraschung des Augenblicks teilhaben lassen will. Welche Rolle spielt im Moment der Gedanke an ein Publikum?

Die schwarze Clownfigur, die auf tiefe Verzweiflung, Einsamkeit und Depression reagiert, übt im Moment die größte Faszination auf mich aus. Diese Figur tritt auf in der Resonanz auf Angst und Ratlosigkeit. Wird alles immer weniger? Wird alles verboten? Wie geht es weiter? Meine Aufgabe ist es, Beispiele und Methoden zu sammeln, die Auswege aus diesem Gedankenkarussel zeigen können, die eine neue Tür öffnen. Der Gegenpol zu der weit verbreiteten Angst ist Liebe – also Geben und Nehmen, In-Verbindung-Sein, gemeinsame Schwingung. Was kann ich geben? Welchen Ausweg kann ich vorleben?

 

Als Clownin kann ich noch deutlicher auf die Bühne tragen, was ich als Mensch versuche zu leben: Die Bewegung, das Auf und Ab der Gefühle, die Vielfalt des täglichen Lebens annehmen können und damit auch erkennen, dass sich alles jederzeit ändern kann. Ich nutze die Freiheit, die Perspektive zu wechseln, um die Erstarrung aufzuheben. Ich nutze meine Freiheit, um meiner Stimme, meinem Körper Raum zu verschaffen, um die Stille der Einsamkeit mit Klang und neuer Bewegung zu füllen.

Wer als Künstlerin im Moment auf den Applaus vor der Bühne wartet, lebt gefährlich! Mein Publikum sind im Moment die Menschen, die mich im Alltag umgeben. Das Leben findet JETZT statt! Wir können nicht darauf warten, dass alles wieder anders wird.

 

Welche Begegnung hat dich in der letzten Zeit besonders berührt?

Eine Freundin schenkte mir einen Kalender von Albert Schweitzer. Beim Durchblättern fühlte ich mich zurückversetzt in meine Studentenzeit, als ich zum ersten Mal im Albert Schweitzer Hospital in Gabun als Zahnärztin gearbeitet habe. Ich warte darauf, diese Einsätze bald wieder machen zu können. Das ist natürlich einmal eine sehr unmittelbare, bedeutende medizinische Unterstützung in Ländern mit wenig Infrastruktur. Durch die Behandlung darf ich den Menschen in besonderer Weise nah sein. Medizinische Hilfe wird dabei meine Gegenleistung für das Erlebte.  – Mit dem Rückblick auf meine Tätigkeit wurde mir klar, dass ich aus diesen Erfahrungen die Grundlagen meiner Clownsphilosophie mitgenommen habe: Im Ausland muss man eine bisher vertraute Aufgabe mit neuen Augen sehen, sie vor dem Hintergrund einer neuen Kultur neu buchstabieren. Und WIR sind quasi alle im Moment „im Ausland“, in einer neuen Situation, die auch viel Unsicherheit mit sich bringt. Wir alle müssen über den Tellerrand gucken und dazulernen.

„Wir marschieren in der Nacht. Das einzige Licht auf unserem Weg ist, unserem Herzen und dem Gesetz der Liebe zu folgen. Das innere Licht ist, Ehrfurcht vor allem Leben zu haben.“  Dieses Zitat von Albert Schweitzer passt wie ein Schlüssel zu einer Tür, die auch den Ausweg aus der Angst öffnet. In dem Wort „Ehrfurcht“ finde ich die Ehre und die Furcht, den Respekt vor allem Leben. Dabei bin ich selbst nicht die einzig Wichtige! Aber ich gehöre dazu, wenn ich das Glück habe, den Zugang zu diesem Weg zu finden!

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Und wie geht es weiter?

In meinem Humorforschungsinstitut unterscheide ich drei Formen von Freude: die Vorfreude, die Hauptfreude und die Nachfreude. Und die Vorfreude kann mir niemand nehmen! Ich mache Pläne, zum Beispiel für eine Reise nach Juist, ich habe Hoffnung – und die Freude daran ist gerade schon passiert – unvergänglich!  – Und ganz praktisch steht das Einüben einer neuen Gangart auf meinem Trainingsplan: das Rückwärtsfahren auf dem Pedalo!

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Ich danke sehr für das Gespräch

Katja Gerlach

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Foto: Rendel Freude

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Neugierig geworden?

https://www.sophiaaltklug.de/

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