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Interview mit Karl Feldkamp
01.03.2022

Meine erste Anfrage für ein Interview mit Karl Feldkamp liegt knapp zwei Wochen zurück – gut gelaunt blickte er damals seinem Urlaub entgegen. Wir verabredeten uns für Anfang März – nun in einer anderen Zeit: Krieg in der Ukraine, lange Truppenaufmärsche Richtung Kiew, kampfbereite Menschen verschanzt in Kellern und U-Bahnschächten, verzweifelte Mütter mit ihren Kindern auf der Flucht.

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Es braucht eine Zeit der Vorbereitung, bis der Kopf frei ist für ein Gespräch über das Schreiben mit dem Leiter der Schreibwerkstatt „Wer schreibt. Bleibt.“, die regelmäßig das Programm von EngelsArt bereichert. Das nun schon vertraute Krisenthema, Corona, ist Grund für die Entscheidung, dass ich Karl Feldkamp am Telefon treffe. Als Schriftsteller verfasst er vor allem Lyrik und Erzählungen. Seine Auseinandersetzung mit der Sprache spürt man in seinen genau formulierten Antworten, die nahezu verdichtete Reaktionen auf meine Fragen sind. Die Konzentration im Gespräch, fernab der Tagespolitik, erlebe ich als wohltuend. So bekomme ich vielleicht eine Ahnung von der zugewandten Atmosphäre, die in seiner Schreibwerkstatt herrschen mag: Das Wort, das man für eine innere Stimmung findet, spiegelt und macht dadurch fassbar, was vorher noch unaussprechlich schien.

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Erste Schritte – was war die Motivation für das Vorhaben, in Engelskirchen die Schreibwerkstatt „Wer schreibt. Bleibt.“ zu gründen?

Schreibwerkstätten sind kreative Orte, an denen ich mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Motivation zu unterschiedlichen Themen gearbeitet habe. In Köln habe ich an der Volkshochschule Schreibwerkstätten angeboten, in Bergisch Gladbach als Mitglied der Autorengruppe Wort und Kunst – immer wieder hat es mich interessiert, mit Menschen an ihren Geschichten zu arbeiten. Als Sozialarbeiter und Supervisor bringe ich sicher auch ein professionelles Interesse an der Persönlichkeit hinter der Geschichte mit. Durch meine Arbeit habe ich ein Gespür dafür entwickelt, wie ich Menschen ansprechen und zum Reden bringen kann.

Nun ist natürlich nicht alle Literatur autobiographisch! – Hier in Engelskirchen traf sich aber tatsächlich das Bedürfnis eines Großvaters, der ich inzwischen geworden war, seinen Enkeln die eigene Geschichte zu erzählen, mit dem gelungenen Start einer Gruppe, die eigentlich genau das zum Ziel hatte. Inzwischen trifft sich die Gruppe seit drei Jahren. Jüngere sind dazugekommen, so dass sich neue Themen ergeben.

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So war also der Weg das Ziel?

Das kann man so sagen. Über den Austausch in der Gruppe schälen sich Themen heraus, die häufig autobiographisch sind. Es ergeben sich aber genauso auch Erzählungen über ein Familienmitglied, das eine besondere Rolle gespielt oder ein historisch interessantes Leben geführt hat. Andere wieder entdecken Themen, die sie essayistisch betrachten. Das Leben als solches wie auch das Älterwerden im Besonderen bieten da unerschöpfliche Anlässe.

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Was war die größte persönliche Überraschung, das größte Vergnügen bei Ihrer Arbeit in der Gruppe „Wer schreibt. Bleibt.“?

Die größte Zeit meines Lebens war ich ein Stadtbewohner: Lübeck, Osnabrück, Köln, Bergisch Gladbach. Als ich dann, beladen mit besorgten Warnungen von Freunden, nach Wallefeld, aufs Land zog, war tatsächlich die erste Überraschung, dass meine Vorurteile sich nicht bestätigten! Interessierte, interessante Menschen leben hier – mit einem künstlerischen Anspruch und Niveau, das ich nicht erwartet hatte! Musik, Kunst, Literatur – hier trifft man alles – und das sozusagen zum Anfassen, ohne Distanz schaffenden Orchestergraben.

Ein großes Vergnügen ist für mich in der Arbeit unserer Gruppe das Gespür für Wortspiele und Humor, auch sich selbst gegenüber. Ich treffe auf gute Kritikfähigkeit und wenig Arroganz oder Beleidigtsein, dafür aber auf das rechte Maß gegenüber sich selbst.

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Kunst braucht Publikum. Welche Rolle spielt dieser Gedanke in der Gruppe?

Die Gruppe selbst ist immer das erste Publikum! Die erste Veröffentlichung erfolgt durch das Vorlesen in der Gruppe. Es schließt sich ein Feedback an, das manchmal noch einmal einen schöpferischen Prozess in Gang setzt.

Nicht immer, aber doch immer wieder, ergeben sich weitere Möglichkeiten zur Veröffentlichung, auch für ein größeres Publikum. Einige Teilnehmer schreiben beispielsweise für Kirchenzeitungen.

Im Raum stehen aber auch Überlegungen zu öffentlichen Lesungen, vielleicht in Verbindung mit Musik – und vielleicht auch schon Ende des Jahres!

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Welche Begegnung war besonders prägend während der Arbeit an dem Projekt?

Da gab es nicht die eine Begegnung, die etwas verändert hat. Für mich war das besondere Erleben des Lebens auf dem Land prägend, weil bildend! Aus dem vorurteilsbeladenen Städter bildete sich einer, der die Welt kennenlernt, wie sie hier ist: Geprägt durch persönliche Kontakte, wirkliches Interesse der Nachbarschaft, zupackende Hilfe – und gepaart mit hohem Anspruch an das Leben und die Kunst.

Auch in unserer Gruppe hat das persönliche Gespräch eine besondere Bedeutung. Es gibt wenig formale Hürden. Vielleicht ist es durch die Haltung dem Leben und dem Anderen gegenüber hier einfacher, ungekünstelt, also ohne den Umweg über die Kunst, über sich selbst zu reden? Vielleicht macht das den entscheidenden Unterschied zum Städter, wie er in meinem Kopf existiert, aus?

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Und wie geht es weiter?

Es gibt keinen Grund aufzuhören! Schreiben ist wie langsames, reflektiertes Reden. So ist es beinah meditativ, eine Achtsamkeitsübung. Je mehr das geübt wird, umso besser! Gerade in der jetzigen Zeit ist es von besonderer Bedeutung.

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Ich danke herzlich für das Gespräch!

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Katja Gerlach

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Hier als Zugabe eine Kurzgeschichte von Karl Feldkamp
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Der ganz normale Wahnsinn

„Ja, wo steht denn hier das Salz?“

Die schmale kleine alte Frau dreht sich im Supermarkt zu mir um und beäugt mich, als stünde sie vor einem hohen Stapel mit Salzpaketen.

Von oben herab schaue ich auf ihre in der Kopfmitte gescheitelte Lockenfrisur, die rechts und links vom Scheitel gleichmäßig einige Zentimeter lang ergraut ist, während zwischen den restlichen moppartig abstehenden schwarz gefärbten Locken noch stellenweise ein goldroter Schimmer für vermutlich ungewollte Abwechslung sorgt.

Plötzlich beginnt die zierliche Frau irgendwie übertrieben hektisch in ihrer Handtasche zu kramen.

„Wo ist denn meine Lupe? Hab sie wahrscheinlich wieder auf dem Küchentisch liegen lassen. Werde immer vergesslicher. Immer vergesslicher.“ Sie wühlt weiter. „Habe mir letzte Woche sogar noch eine zweite Lupe gekauft. Die Dinger sind ziemlich teuer. Ich sehe nämlich nicht so gut. Bin vor zwei Wochen an den Augen operiert worden. Aber die zweite Lupe kann ich auch nicht finden. Wollen Sie mal gucken?“

Einladend hält sie mir ihre geöffnete abgeschabte Lederhandtasche unter die Nase, vor der sich eine Duftwolke schweren Parfüms entfaltet.

„Sie können ruhig drin rumwühlen.“ Ermuntert sie mich lächelnd. „Hauptsache, Sie finden meine Lupe.“

Mit spitzen Fingern beginne ich die Suche, schiebe Lippenstifte und Tablettenschachteln beiseite, krame zwischen Papiertaschentüchern, Parfümflaschen, Nagelfeilen und Sicherheitsnadeln.

„Tut mir Leid, ich kann sie auch nicht finden.“ Ich reiche ihr die Tasche zurück.

Unter der grau-schwarz-roten Moppfrisur seufzt es heftig.. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich muss doch sehen können, was ich einkaufe. Haben Sie vielleicht ein wenig Zeit übrig und können mit… .“ In ihrem kleinen, aber großfaltigen Gesicht macht sich ein gequältes Lächeln breit.

„Na, gut.“ Lenke ich ein. „Aber viel Zeit habe ich wirklich nicht.“  Ich schiebe meinen Einkaufswagen an die Seite, lasse ihn  stehen und nehme den ihren.

„Wir können uns ja beeilen. Ach, wissen Sie, mein Gedächtnis, vor allem mein Kurzzeitgedächtnis, ist wirklich nicht mehr das allerbeste. Aber zusammen werden wir es bestimmt schaffen.“ Sie legt mir einen Arm um die Hüfte und schiebt mich in den Gang mit den Obst- und Gemüse-Ständen. „Und wenn wir nachher noch mal nach dem Salz sehen! Das darf ich auf keinen Fall vergessen. Hier brauche ich nur ein paar Birnen und Bananen.“

Ich legte ihr eine Staude der noch grün-gelben Früchte sowie eine Packung mit 6 Birnen in ihren Einkaufswagen. „Sind das auch Bio-Bananen?“ Sie schaut mich von unten misstrauisch an.

„Selbstverständlich. Die Bananen sind sogar fairtrade.“

Zufrieden tätschelt sie mir den Unterarm.

„Und jetzt brauche ich noch Milch, Bio-Milch und irische Butter. Die kommt von der grünen Insel und schmeckt mir immer am allerbesten.“

Vorsichtig schiebe ich ihren Einkaufswagen zur Kühltheke mit den Milchprodukten.

„Zweimal Vollmilch, bitte!“ Ihre Stimme wird immer piepsiger. „Und zwei Pakete Butter.“

Auch die lege ich ihr in den Wagen.

Die Kleine lächelt mich von unten an. Ausgerechnet große braune Augen hat sie, denen ich nicht widerstehen kann. „Können wir vorn an der Kasse noch ein paar Blumen mitnehmen.“

„Selbstverständlich, wenn ich zunächst noch meinen Einkauf machen kann.“

Sie nickt und stellt sich vor die Kühltheke mit angeblich frischen Fischen. „Ich warte hier.“

Ich beeile mich, meinen Einkauf für die nächsten Tage so schnell wie möglich zusammenzustellen.

In kaum zehn Minuten bin ich wieder zurück an der Fischtheke. Die kleine braunäugige Alte ist nicht mehr dort. Im ersten Moment überlege ich, einfach zur Kasse zu gehen und nach Hause zu fahren. Doch dann begebe ich mich auf die Suche. Schließlich finde ich sie vor dem Regal mit Salz, Zucker und Mehl.

Sie lacht mich an. „Wir haben das Salz ganz vergessen.“

„Oh ja, stimmt.“

In ihrem Einkaufswagen kann ich kein Salz entdecken. Also greife ich nach einer Packung vom Stapel und lege die zu ihren anderen Einkäufen.

„Ist das auch Meersalz?“

„Ja, selbstverständlich. Aus dem Mittelmeer.“

Sie lacht. „Nach Griechenland ans Mittelmeer würde ich auch gern noch einmal reisen. Auf irgendeine kleine Insel.“  Versonnen lächelt sie vor sich hin.

„Können wir denn jetzt zur Kasse?“ Meine Stimme klingt unwirsch, während sie mir ihr unwiderstehlichstes Unschuldslächeln zeigt.

„Ein paar Blumen würde ich auch gern noch mitnehmen. Wenn es geht, rote Rosen.“

Vor den Laufbändern an der Kasse stehen immer einige Plastikeimer mit zumeist frischen Blumen.

Ich bleibe davor stehen, suche einen Strauß roter Rosen, die am frischsten wirken, aus und reiche ihn der zierlichen Alten. Sie nimmt den Strauß, versteckt ihre Nase darin, atmet tief ein und lacht. „Es ist lange her, dass mir ein Mann rote Rosen geschenkt hat. Wenn ich früher mit meinem Diethelm einkaufen ging, hat er immer Rosen gekauft.“

 „Na gut, die bezahle ich.“ Gebe ich mich geschlagen und schiebe zuerst meinen Wagen neben das Laufband zur Kasse.

Meine wenigen Einkäufe sind schnell erledigt. Den Wagen stelle ich neben einen Tisch in der Einpackzone, gehe zurück, schiebe ihren Einkaufswagen an das Laufband  und beginne die Waren auf das Band zu legen. Sie hilft mir schweigend und lächelt.

Die Kassiererin zieht zügig die einzelnen Waren über jene kleine Glasscheibe hinter dem Laufband, die mit einem Piep bestätigt, dass sie die Ware und deren Preis erkannt hat. Zwischendurch schiebt sie immer einmal wieder ihre schon etwas altmodische Hochfrisur mit dem Handrücken zurecht.

Ich nehme alle registrierten Waren entgegen und lege sie hastig in den Einkaufswagen.

„Siebenunddreißig fünfundfünfzig!“ Die Kassiererin sieht mich erwartungsvoll an, während mir die kleine Alte ihr großes rotes prall gefülltes Portemonnaie in die Hand drückt. Ich öffne den Reißverschluss, greife in das Fach mit den Scheinen und schließlich in das mit dem Kleingeld. Anstelle einiger Münzen bekomme ich eine zusammengeklappte Lupe zu fassen.

„Da ist sie ja!“ rufe ich und lege sie der Alten in die Hand, die sie aufhält, um ihre Geldbörse wieder in Empfang zu nehmen.

„Ich wusste doch, dass ich die Lupe eingesteckt habe.“ Die Stimme der Zierlichen klingt gespielt triumphierend.  Der traurige Blick ihrer braunen Augen aber lässt mich antworten: „Es hat mir auch Spaß gemacht! Und nächstes Mal, falls wir uns hier wieder treffen, helfe ich Ihnen gern beim Suchen.“

Hastig schiebt die kleine Alte ihren Einkaufswagen zur Seite und umarmt mich lachend.

„Man muss sich als ältere Frau halt was einfallen lassen…!“

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