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Interview
Karsten Heider
am 15. April 2021

Eintreten und eintauchen in eine vielfach verschachtelte Welt, die Schätze offenbart, die man so mitten in Ründeroth kaum erwartet: Augenschmaus und haptisches Vergnügen bietet gleich am Eingang eine Sammlung alter Buchbinder-Werkzeuge. Die Fülle an Eindrücken und Bildern fordert geradezu auf, die Geschichte des Bewohners und seiner facettenreichen Kunst zu ergründen.

  

Karsten Heider hat gemeinsam mit Anke Ahle im vergangenen Oktober die Ausstellung im Baumwolllager zur Ründerother Geschäftsbücherfabrik Gustav Jaeger zusammengetragen und dort künstlerische Handeinbände der Meister der Einbandkunst präsentiert. Ausstellungsstücke aus der alten Bücherfabrik liegen und hängen nun griffbereit in den Räumen des Antiquariats Peter Ibbetson und in seiner Buchbinderwerkstatt. Durch langen Gebrauch liegen die Griffe geschmeidig in der Hand, der Achatglättzahn zur Goldschnittherstellung fällt der Betrachterin nicht nur durch seinen Namen sofort wieder auf – Scheren in zupackenden Größen für Leder, Stoff und Papier hängen an einem Eichenbalken, in großen Schubladen lagern historische Prägeschriften aus Messing, Jugendstil-Vignetten und unzählige Schmuckelemente und warten darauf, auf Ledereinbände geprägt zu werden. Spindelpressen, Gewichtsteine, Prägepresse und Schneidemaschine finden in jeder Ecke ihren Platz. Pappen und Papiere, klanghartes Roma-Bütten, ein handgefertigtes, hochwertiges Baumwollpapier, das sich wie rauer Stoff anfasst, samtiges Nepal Papier, Pergament, Oase-Ziegenleder und Kabeljauleder, aber auch glatt geschliffene Holzstückchen – das ist eine Auswahl des Materials, mit dem Karsten Heider arbeitet, wenn er sich seiner künstlerischen Tätigkeit, der Einbandkunst, widmet.

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Erste Schritte – wie kamst du dazu, dich nicht nur als Antiquariatsbuchhändler mit Büchern zu beschäftigen, sondern sie auch als Kunstobjekt zu gestalten?

Die Hinwendung zur künstlerischen Tätigkeit als Buchbinder lag eigentlich auf dem Weg. Schon als Kind war ich fasziniert von der Ästhetik der Geschäftsbücher, vor allem der Marmorschnitte, die mein Vater als Buchbinder in der Ründerother Bücherfabrik Jaeger herstellte. Das Interesse an Gestaltung und Illustration und meine eigenen künstlerischen Fähigkeiten waren früh geweckt. Aber erst später lernte ich von meinem Vater, Schuber für Bücher meiner Sammlung herzustellen – damit war der erste Schritt zur Arbeit in dem Handwerk des Buchbinders getan. Darauf folgte das Interesse an der eigenen künstlerischen Gestaltung der äußeren Form des Buchs. Als ich dann mit dem Umzug nach Ründeroth vor sieben Jahren auch die Werkstatt meines Vaters übernahm, war das sicher der entscheidende Schritt, nicht nur die Technik des Buchbindens immer weiter zu verfeinern, sondern vor allem mit Farben und Material zu experimentieren.

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Gab es von Anfang an ein Ziel? 

Einmal angefangen, war schnell klar, dass die Buchbinderei einen immer größeren Raum einnehmen würde. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass die Kunst nicht zum Broterwerb werden sollte. Als Antiquar beobachte ich, dass sich das Interesse der Sammler ändert: Das Interesse an Werk- und Erstausgaben nimmt ab; stattdessen gewinnt der Objektcharakter des Buchs an Bedeutung. Bei den zum Teil skulpturalen Einbänden überwiegt oft der ästhetische Ausdruck – das Interesse an Autor und Inhalt ist teilweise sogar nachgeordnet. – In dieser Hinsicht unterscheiden sich meine Auswahl und mein Vorgehen!

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Wie gestaltet sich dein Weg?  

Natürlich finde ich es auch reizvoll, Bücher in außergewöhnlichen Formaten, zum Beispiel bibliophile Drucke mit Original-Grafik zu binden. So arbeite ich gerade an „Das Schöne“, einer Festgabe für Karl Klingspor, mit einer ungewöhnlichen unsymmetrischen Deckelform, die auch noch eine besondere Herausforderung an den Bau des Schubers stellen wird! Neben der Ästhetik der Form spielt aber bei der Auswahl immer auch der Inhalt eine große Rolle. Der „Golem“ von Gustav Meyrink mit seinem dunklen reliefierten Einband und den mit einer alten Tapetenmusterrolle handgefertigten Vorsatzpapieren verweist auf die Kulisse eines düsteren Prag. Der Einband von Grimms Märchen zeigt einen Baum – tief verwurzelt, mit breitem Stamm und giftgrünem Laub – als Hinweis auf Hexenkunst und magische Elemente.

  

„Das Märchen“ von Novalis ist verpackt in einer Traumlandschaft. „Dracula“ und „Frankenstein“ verbreiten schon durch die farbige Gestaltung des Einbands Grusel. Dracula zeigt eine applizierte rote Zunge aus Straußenbeinleder am Rücken – Frankenstein ziert eine grob zusammengenähte Narbe. – Aktuell entferne ich mich aber von den Anfängen meiner „wilden“ Zeiten und arbeite mit reduzierter Formen- und Farbensprache. So etwa bei Schillers „Wallenstein“ oder Goethes „Römischen Elegien“.

 

Was ist das größte Vergnügen auf dem Weg? Und was die größte Überraschung?

Wenn die Vorstellung und die Realisierung übereinstimmen, wenn das Werkstück rundum gelungen ist, bedeutet das natürlich ein besonders großes Vergnügen – das man allerdings nicht allzu häufig erlebt. Überraschungen sind häufiger: Gerade wenn etwas vermeintlich schiefgeht, entsteht oft erst Neues. Der gut geplante Weg, der unbeirrt zu Ende verfolgt wird, ist gar nicht immer der Königsweg. Erst wenn man etwas neu bedenken, verändern, vielleicht sogar zerstören muss, kann man über sich selbst hinauswachsen. Neues entsteht nur dadurch, dass man zulässt, nicht alles selbst zu steuern.

Kunst braucht Publikum – braucht Kunst Publikum? 

Natürlich zeige ich gern! Ich freue mich über die Gelegenheit zu Ausstellungen und zu Präsentationen im Internet und auf Messen. Dort kann mich jeder sehen, der mich sehen will. Aber meine Kunst hat vor allem Wert für mich. Daher sind meine Werke auch nur sehr selten verkäuflich.

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Und wie geht es weiter?  

Ich hoffe, dass es noch lange weitergehen kann! In der künstlerischen Arbeit erfahre ich nicht nur tiefe Zufriedenheit, sondern auch, dass der kreative Prozess ungeheuer viel Energie braucht!

Angedacht ist tatsächlich eine Ausstellung gemeinsam mit dem Wuppertaler Buchkünstler Roger Green über ein besonderes politisches Thema in der Buchkunst: „Holocaust-Art“ beschäftigt sich mit Illustrationen und Texten von Überlebenden, aber auch mit zeitgenössischer Kunst, die sich mit dem Thema auseinandersetzt. Dabei geht es darum zu zeigen, dass Erinnern auch ästhetisch sein darf! Wenn man das Erinnern nur auf den Schrecken der Geschichte verkürzt, missachtet man die Bedeutung der ästhetischen Gestaltung, die aber oft eine ganz eigene Wichtigkeit hat. Ein Beispiel ist das Buch von Bernard Aldebert „Chemin de croix en 50 stations – de Compiègne à Gusen II en passant par Buchenwald, Mauthausen, Gusen I“. Die handbemalten Leinendeckel sind mit einer Schusterraspel geprägt und mit einem Hammer traktiert worden, um den Versuch der Zerstörung im KZ auch haptisch erfahrbar zu machen. Ein anderes Buch zu dieser Reihe ist „Chansonnier à Buchenwald. Chanoir“ von 1949. Auf dem steingrauen Lederdeckel habe ich ein stilisiertes Zitat aus einer Lithographie aus dem Buch übernommen, das den Schlafsaal eines KZ zeigt. Bei dieser Arbeit stellt sich die Frage nach der Wirkung ganz neu.

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Für ein sehr intensives Gespräch bedanke ich mich!

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Katja Gerlach

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Kontakt: http://www.antiquariat-peteribbetson.de

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